Torsten Radespiel
  2010
 
Kriegsweihnacht 1914


Intro: „Friedensglocke“ – Glocken: Frankfurt/Oder

Der Schnee fällt leise auf den Gartenzaun vorm Haus. Die 5-jährige Anna Müller schaut verträumt den tanzenden Flocken zu. Nur wie von fern hört sie die Rufe ihrer Mutter. Im Wohnzimmer unter dem Weihnachtsbaum warten schon ihre Brüder und die Mutter. Vater ist nicht da, wie in anderen Familien auch...Es ist der 24. Dezember 1914, Heiligabend.

Anna wartete trotzdem auf ihren Vater, schließlich sollte der Krieg doch schnell vorbei und Vater spätestens an Weihnachten wieder zu Hause sein. Doch er kam nicht und auch nicht am ersten oder zweiten Weihnachtsfeiertag und auch nicht Neujahr.

Annas Vater, Paul Müller, konnte nicht kommen. Er lag in Flandern im Schützengraben, zwischen Gefallenen und zwischen Verwundeten. Es war kalt, nass und schlammig und die Ratten fraßen das letzte Brot.

Doch was war das? – Die Soldaten bekamen von den Versorgungstruppen einen richtigen Weihnachtsbaum mit richtigen Kerzen. Und Paul Müller dachte in diesem Moment an Anna, ihre Brüder und ihre Mutter. Als er sich umschaute sah er, dass seine Kameraden in Gedanken auch zu Hause waren. Und irgendwie wollte er seine Sehnsucht teilen.

Er nahm den kleinen, mit brennenden Kerzen bestückten Weihnachtsbaum und stellte ihn auf die Brustwehr des Schützengrabens. Dazu summte er leise die Melodie des Liedes „Stille Nacht – Heilige Nacht“.

Ungläubig schauten ihm seine Kameraden zu. Und einer nach dem anderen fingen an, mitzusingen. Bald schon tönte ein gewaltiger Männerchor aus den Gräben. „Stille Nacht – Heilige Nacht“ wurde abgelöst von „Es ist ein Ros’ entsprungen“.

Über das Niemandsland der Schützengräben breiteten sich die Lieder aus und selbst die britischen, französischen und belgischen Truppen trauten ihren Ohren nicht. Statt zu schießen, forderten sie die Deutschen auf, weiterzusingen: „Well done, Fritzens“ klang es aus ihren Gräben. Und das schönste für Annas Vater war, dass die Briten in englischer Sprache „Silent Night“ mitsangen.

Dieser gewaltige Chor verschiedener Nationen gipfelte in ein: „We not shoot, you not shoot“.

Und tatsächlich schwiegen an diesem Heiligen Abend des Jahres 1914 fast überall an der Westfront die Waffen.

Zunächst vereinzelt, bald in immer größeren Gruppen stiegen deutsche Soldaten aus ihren Gräben, und nach anfänglichem Zögern taten es ihnen die Briten gleich. Man traf sich im Niemandsland zwischen den Schützengräben, tauschte Geschenke aus und vereinbarte eine Waffenruhe für den ersten Weihnachtsfeiertag.

Annas Vater und seine Kameraden schrieben in Briefen nach Hause, dass ein Wunder geschehen ist: Männer, die sich noch wenige Stunden zuvor gegenseitig zu töten versuchten, standen nun zusammen, lachten, schwatzten, rauchten und prosteten sich zu.

Das schönste jedoch war das Fußballspiel. Briten spielten gegen Deutsche, Deutsche gegen Franzosen und Belgier. Und alle hatten Spaß. Als Ball diente mit dünnem Draht umwickeltes Stroh, als Torpfosten Stiele von gebrauchten Granaten oder Stahlhelme.

Doch nicht alle waren mit der Verbrüderung einverstanden. So etwas dürfe nicht zugelassen werden, protestierte ein österreichischer Gefreiter, er hieß Adolf Hitler. Einige Soldaten wurden von Scharfschützen der gegnerischen Seite erschossen. Als die Oberbefehlshaber von den Geschehnissen erfuhren, witterten sie Verrat und gaben den Befehl heraus, dass jeder, der mit dem Feind Stille Nacht singt, sofort zu erschießen ist.

Und dann waren die Weihnachtstage vorüber und der Krieg entzündete sich erneut, allein von einer Machtpolitik diktiert, die den Wert des menschlichen Lebens niemals zu erkennen imstande war.

Dennoch steckt in diesem kleinen Frieden mitten im großen Krieg eine Botschaft mit ungeheurer Symbolkraft: Wenn die Menschen es wollen, hört der Krieg auf!

Anna hat ihren Vater nie wiedergesehen. Er starb den Heldentod auf dem Feld der Ehre an der Westfront im Sommer 1915.

 

Einspielen: Stille Nacht, Heilige Nacht



Dresdner Kreuzchor: Stille Nacht


 

Quellen:

Michael Jürgs: Der kleine Frieden im Großen Krieg

Eine Buchbesprechung aus „DIE ZEIT“, 02/2003

Filmtipp: Merry Cristmas, mit Benno Führmann und Danel Brühl

Vollständigen Artikel auf Suite101.de lesen: Kriegsweihnacht im Schützengraben 1914: Als Deutsche, Briten und Franzosen gemeinsam Weihnachten feierten http://www.suite101.de/content/kriegsweihnacht-im-schuetzengraben-1914-a63822#ixzz14WUHubWR



 
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